Dienstag, 3. Mai 2011
Ich bin nicht traurig...
Posted at 19:11
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"Jeden Morgen erwachte sie mit der Sehnsucht, das Richtige zu tun und ein guter und bedeutsamer Mensch zu sein, mit der Sehnsucht - so schlicht es klang und so unmöglich es tatsächlich war -, glücklich zu sein. Und im Laufe des Tages sank ihr Herz von der Brust in den Bauch. Am frühen Nachmittag war sie von dem Gefühl durchdrungen, dass nichts richtig sei, jedenfalls nicht für sie, und hatte nur noch den Wunsch, allein zu sein. Gegen Abend war sie dann zufrieden: allein mit der Größe ihrer Trauer, allein mit ihrem ziellosen Schuldgefühl, allein sogar mit ihrer Einsamkeit. Ich bin nicht traurig, sagte sie sich immer wieder, ich bin nicht traurig. Als könnte sie sich dadurch eines Tages überzeugen - denn noch schlimmer, als traurig zu sein, ist, wenn andere wissen, dass man traurig ist. Ich bin nicht traurig. Ich bin nicht traurig. Denn ihr Leben hatte ein unbegrenztes Potential für Glück, und zwar insofern, als ein leerer, weiß gestrichener Raum war. Wenn sie einschlief, lag ihr Herz am Fußende des Bettes wie ein gezähmtes Tier, das gar kein Teil von ihr war. Und jeden Morgen, wenn sie erwachte, war es wieder im Schrank ihres Brustkorbs, es war etwas schwerer und schwächer geworden, aber es schlug noch. Und am Nachmittag war sie abermals überwältigt von der Sehnsucht, irgendwo anders zu sein, irgendwer anders zu sein, irgendwer anders irgendwo anders zu sein. Ich bin nicht traurig."- Jonathan Safran Foer "Alles ist erleuchtet"
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